Ich bin Marina, 60 Jahre alt, und möchte meine Erfahrungen, mit Migräne durch das Arbeitsleben zu gehen, hier zur Verfügung stellen. Dabei habe ich positive und negative Erfahrungen gemacht, Unterstützung und Druck erlebt. Ich war schon seit 10 Jahren in dem Betrieb des öffentlichen Dienstes angestellt, als sich meine gesundheitliche Situation zuspitzte. Des Öfteren habe ich dann überlegt, den Arbeitsplatz zu wechseln, habe mir aber eine Einarbeitung woanders kaum zugetraut und neue Probleme befürchtet. 

Seit vielen Jahren leide ich unter Migräne. Es fing an mit Sehstörungen (Aura mit Flimmerskotomen), dann folgten über die Jahre nicht linderbare Nackenschmerzen und schließlich Kopfschmerzattacken begleitet von Übelkeit bis hin zum Status Migränosus. Mittlerweile bekomme ich Antikörperinjektionen als Prophylaxe, und nehme etwa 6 x im Monat Triptane als Akutmedikation. Ich bin in einer Selbsthilfegruppe aktiv und kenne mich sehr gut aus mit meiner chronischen Erkrankung. 

Druck habe ich vor allem durch direkte Vorgesetzte erfahren. Die Personen wechselten, der Druck blieb. Je mehr diese Personen selbst unter Druck standen, desto mehr Druck haben sie erzeugt. Vorgesetzte sind oft ein Rädchen in einem Gesamtgetriebe. Man sollte also schauen, wie der Betrieb insgesamt funktioniert, und wer innerbetrieblich vielleicht hilfreich sein könnte. 

In meinem Fall bin ich einer erfahrenen Betriebsärztin und einem engagierten Personalrat sehr dankbar. Der Personalrat hat mir in einigen Konfliktgesprächen mit Vorgesetzten rückenstärkend zur Seite gestanden. Die Betriebsärztin hat für mich –nach Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 (s.u.) – eine Empfehlung für meinen „leidensgerechten“ betrieblichen Einsatz geschrieben. (Eine andere Betriebsärztin hatte mir vorher einen neuen Fahrradlenker ans Herz gelegt wegen der dauernden Nackenschmerzen. So unterschiedlich ist das Verständnis.) 

Unterstützung habe ich auch erfahren durch niedergelassene Ärzte. Vor Jahren hat mir eine Ärztin ein Attest geschrieben, dass es aufgrund meiner chronischen Schmerzerkrankung unweigerlich zu Einzelfehltagen kommt. Inzwischen kann ich mich in der Hausarztpraxis telefonisch krankmelden und die Krankschreibung abholen, wenn es mir wieder bessergeht. Das ist eine große Erleichterung. Es trägt bei zu formal korrektem Arbeitnehmerverhalten in einer Situation, in der ich nicht handlungsfähig bin. Auch Medikamente kann ich telefonisch bestellen und mir das Rezept in der Praxis abholen.  

In einer Rehaklinik habe ich sehr viel gelernt über die Erkrankung und über Krankheitsbewältigung. Durch die Sozialarbeiterin dort habe ich erfahren, dass ich nach der stationären Reha stufenweise Wiedereingliederung ins Arbeitsleben in Anspruch nehmen kann, und dass ich bei meiner Diagnose schon nach Ablauf von 2 Jahren erneut einen Antrag auf Rehabilitation bei der Rentenversicherung einreichen kann. Eine Mitgliedschaft in einem Sozialverband wurde empfohlen für Beratung und Rechtsbeistand wegen der Probleme am Arbeitsplatz. Außerdem wurde mir geraten, einen Antrag auf Anerkennung einer Behinderung zu stellen. Darauf wäre ich von alleine NIE gekommen. Und das ist dann in Stufen erfolgreich verlaufen. Vor 5 Jahren wurde der Antrag mit einem Grad von 30 bestätigt. Die Gleichstellung mit einem GdB von 50 für das Arbeitsleben wurde auch umgehend anerkannt. Das war nützlich am Arbeitsplatz. Nach einem weiteren stationären Aufenthalt in einer Rehaklinik 3 Jahre später wurde auf meinen Neufeststellungsantrag hin ein GdB von 50 unbefristet anerkannt und somit eine Schwerbehinderung.  

Damit hatte ich neben den Nachteilsausgleichen für Menschen mit Behinderung plötzlich die neue Möglichkeit, 2 Jahre vor meinem Regelrentenalter vorzeitig aus dem Berufsleben auszusteigen. Das habe ich dann kombiniert mit dem betrieblichen Angebot der Altersteilzeit im Blockmodell, und mit dieser Lösung werde ich nun 4 Jahre vorgezogen in die Passivphase der Altersteilzeit starten, d.h. aufhören zu arbeiten. Und das ist eine sehr große Erleichterung trotz finanzieller Einbußen. Ich werde dann sicher nicht nichts tun, denn mir gefällt die Arbeit, aber ich habe Art und Maß selbst in der Hand.  

Alles, was mich lange gequält hat, wird dann hinter mir liegen. Ich werde nicht mehr morgens gegen 4:30 Uhr aufwachen mit einem dröhnenden Migränekopf und mühsam versuchen zu entscheiden, ob mir Triptane durch den Tag helfen kann, oder ob ich mich lieber gleich krankmelde. Die Entscheidung hängt natürlich auch von den Anforderungen ab. In meinem Beruf habe ich oft sehr viel Publikumsverkehr, Termine einzuhalten, mit Gruppen von Menschen zu arbeiten, Verantwortung zu tragen und konzentrierte Denkarbeit zu leisten. All das geht mit dem kranken Kopf nicht und wenn ich es versuche, muss ich oft hinterher ausgleichen, was schiefgelaufen ist. Ich muss bei Terminsachen langfristig Zeitpuffer einplanen, weil ich ja vielleicht noch einen Tag Ausfall zu kompensieren habe. Dabei versuche ich auch noch im Blick zu behalten, wer außer mir einen Schaden hat durch meine Abwesenheit. Seit mein Aufgabenspektrum stärker an meine gesundheitlichen Möglichkeiten angepasst worden ist, geht es besser. Die neue junge Vorgesetzte hat die Problematik verstanden und setzt mich mehr im Rahmen meiner Fähigkeiten ein. Ich bekomme Arbeiten, die weniger Publikumsverkehr und Termineinhaltung von mir verlangen, bei denen ich aber meine langjährige Erfahrung nutzbringend einsetzen kann. Bis 50 % meiner Arbeitszeit darf ich von zu Hause aus arbeiten, zeitlich flexibel. Die anderen 50 % der Zeit bemühe ich mich, Termine pünktlich wahrzunehmen, konzentriert mit Gruppen zu arbeiten oder Prüfungen abzunehmen. Und ich habe auch wieder so etwas wie ein Privatleben – manchmal sogar innerhalb der Arbeitswoche.

Ich bin wirklich dankbar dafür, dass mein Arbeitsleben auf diese Weise bald ein friedliches Ende findet. Der Weg war schwer genug.