Mein Name ist Carmen (Name geändert), ich bin 41 Jahre alt und als ich meinen Beruf bzw. mein Studium wählte, war meine Migräne noch nicht ausgebrochen. Sie begann mitten im Studium und brachte mich schon dazu, Diplomprüfungen zu verschieben, da diese in der Attacke schlicht unmöglich sind. Wäre ich heute nochmal an diesem Punkt meines Berufsweges, würde ich mich informieren, welcher Bereich/Arbeitgeber besonders migränefreundliche Arbeitsbedingungen aufweist – aber das habe ich dann erst im Laufe der Jahre gelernt. Mein Weg führte mich von Anfang an (zufällig) in den öffentlichen Dienst, wo ich im Dienst an Hochschulen und Universitäten hohe Freiheitsgrade in meiner Arbeit erfuhr. Ich konnte sprichwörtlich überall arbeiten, hatte ein Einzelbüro und meine Migräne war relativ ruhig.
Dann folgte ein Jobwechsel, weil ich mich gerne weiterentwickeln wollte. Die ersten Monate musste ich insgesamt ca. 3 Std. pro Tag pendeln, dazu kam ein steigendes Arbeitspensum, ein verändertes Aufgabengebiet mit Publikumsverkehr, vielen Dienstreisen und Termindruck. Meine Migräne wurde schlimmer und schlimmer, sodass ich schließlich Aufenthalte in der Schmerzklinik Kiel mit anschließender Reha wahrnahm und man mir dort eine chronische Migräne diagnostizierte, die eine Änderung der Arbeitsumgebung nötig machte. Dienstreisen nur selten und im zeitlichen Ablauf an meine Tagesroutine angepasst, weniger Termindruck und vor allem Vertretungsregelungen. Hätte ich das mal vorher gewusst! Zudem stellte ich einen Antrag auf Grad der Behinderung (30) sowie eine Gleichstellung am Arbeitsplatz, die dann zwar keine extra Urlaubstage etc. ermöglicht, aber bspw. einen besonderen Kündigungsschutz.
Mit dem Wissen suchte ich das Gespräch mit meinem Vorgesetzten – und stieß auf Granit. Im Gegenteil, er wurde laut und hatte Sorge, meine Arbeit würde schlicht liegenbleiben. Kompromisse, alternative Lösungen oder Tauschideen wurden ausgeschlagen. Ein Tag Homeoffice war das höchste der Gefühle. Ich stand mit dem Rücken an der Wand. Damals sah ich es als ausweglos an, den Ansprechpartner für behinderte Menschen im Betrieb mit ins Boot zu nehmen, da viel Vertrauen zwischen meinem Chef und mir verloren gegangen war. Sehr geknickt suchte ich mir einen neuen Job, obwohl mir das Team sehr am Herzen lag. Aber meine Gesundheit war wichtiger. Und nun wusste ich, auf was ich achten muss, damit meine Migräne mich nicht in die Berufsunfähigkeit treibt. Zudem habe ich meine medikamentöse Therapie und Prophylaxe umgestellt und spreche sehr gut auf die Antikörperspritze an, die mich von 13 bis 15 auf 2 bis 5 Attacken im Monat runter reduziert hat.
Zwei Stellen weiter bin ich nun in einer Vollzeittätigkeit im öffentlichen Dienst, die mir Spaß macht, bei der ich meine (durch weitere Erkrankungen mittlerweile) Schwerbehinderung kommuniziere und auch Grenzen aufzeige, die mir die Erfahrung gezeigt hat. Ich mache deutlich, dass ich eine gute Arbeit erbringe und es sich gelohnt hat, mich einzustellen. Meine Rahmenbedingungen sind nur ein klein wenig anders als bei gesunden Menschen und das verstehe ich auch unter Diversität bzw. Inklusion – Stellschrauben ändern, damit ich genauso am beruflichen Alltag mit dem Team teilhaben kann. Nicht ich muss mich nach Kräften anpassen, sondern die Umgebung ermöglicht mir, mitzumachen. Meine Bildschirmbrille, ergonomische Maus, elektronisch höhenverstellbarer Schreibtisch, 70% Homeoffice, entzerrte Dienstreisen, Vertretungsregelungen und eine empathische Vorgesetzte machen es möglich. Zudem gehe ich alle 2-4 Jahre in medizinische Reha, um meine Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Ich bin in Kontakt mit dem Ansprechpartner für behinderte Menschen, habe einen engen Draht zur Beraterin des Integrationsfachdienstes in meiner Stadt und weiß nun um meine Möglichkeiten, falls es wieder schlimmer wird, das Ausfall kompensiert oder ein Hilfsmittel angeschafft werden muss.